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Amiga Collections: Auge 4000
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Auge 4000 #60 (1991-08-16)(Amiga User Gruppe Einzugsgebiet 4000).zip
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Auge 4000 #60 (1991-08-16)(Amiga User Gruppe Einzugsgebiet 4000).adf
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Tiefer See
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Tiefer See
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1991-11-04
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35KB
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645 lines
Tiefer See
--------------
Ich hatte den Weg durch den Wald gewählt, er erschien
mir kürzer, als wenn ich außen um ihn herumgeritten
wäre. Doch es war nicht leicht, sich einen Weg durch
das Dickicht zu bahnen. Meinem Pferd machte es nichts
aus, ich hingegen befand mich einen guten Meter höher
als mein Rappen und so schlugen mir laufend Äste ins
Gesicht. Ich schwankte dauernd zwischen Ärger, daß
ich den schwierigen Weg durch den Wald genommen hatte,
und der Hoffnung, einige Tage schneller zu sein als sonst.
Nach anderthalb Tagen im Wald überwog schließlich der
Ärger, doch zurück wären es wieder anderthalb Tage
gewesen, dann hätte ich aber auch nichts gewonnen,
sondern vielmehr drei Tage verloren. So kämpfte ich
mich weiter verbissen durch die Tannen.
Die Nadeln, die ich von den Bäumen abstreifte, stachen
mich überall. Sie setzten sich in meinen Kleidern fest,
jede Bewegung begann zu schmerzen, weil sich dann eine
Nadel in mein Fleisch bohrte. Einige Male versuchte ich
die Nadeln zu entfernen, jedoch schien es mir, daß sich
die neuen Nadeln dann um so besser in meinen Kleidern
festsetzen konnten, da sie wieder neuen Raum vorfanden.
Der Wald war hügelig geworden, was mich etwas verwunderte,
denn ich kannte keine Berge oder Anhöhen in dieser
Gegend. Ich muß allerdings zugeben, daß ich noch nie
so tief in diesen Wald eingedrungen war und der Wald
von Gladeard ist wirklich riesig groß. Mann braucht
sieben Tage, um von einem Ende zum anderen zu gelangen,
wenn man den festen Weg außen herum benutzt. Ich war
so dumm gewesen zu denken, daß ich, wenn ich mich durch
den Wald schlüge, mehr als zwei Tage sparen könnte,
denn ich sollte so schnell wie möglich eine Botschaft
meines Königs zu dem Reiche Chandwelar im Norden
bringen.
Der Wald stieg, je weiter ich ritt, mehr und mehr an.
Ringsum sah ich nichts außer Bäumen, die über mir ihre
Kronen zu einem festen Dach schlossen, durch das weder
Regen noch Sonne kam. Immer steiler wurde der Boden
vor mir, ab und zu tauchten auch Felsbrocken auf, die
eine sonderbare rote Färbung zeigten. Oft waren diese
Brocken von Moos überwuchert und von der Witterung
völlig zernagt. Mein Pferd begann zu bocken, es wollte
nicht mehr weiter. Dieser Weg war ihm zu steil. Doch
ich trieb es unermüdlich an, immer in Richtung Norden,
meinem Ziel entgegen.
Dann geschah es, noch heute laufen mir Schauer über
den Rücken, wenn ich daran zurückdenke. Vor mir brach
der Boden jäh ab, ich sah einen tiefen Abgrund hinunter.
Fast hätte ich mein Pferd nicht mehr zügeln können und
wäre hinuntergestürzt. Erst als ich mich von meinem
Schrecken erholt hatte, erblickte ich die bezaubernde
Schönheit der Landschaft vor mir.
Ich befand mich auf dem oberen Rand eines Talkessels,
dessen Ränder jäh abfielen, am Boden sanft ausliefen
und schließlich in einen See mündeten. Der Kessel durch-
maß gut sechs- bis achttausend Meter, etwa ein Drittel
seiner Fläche nahm der See ein. Der Boden des Kessels
war teilweise bewaldet, teils mit in der Sonne leuch-
tenden Wiesen und Feldern bedeckt. Der See aber war
das Prunkstück des Paradieses inmitten des dunklen
Waldes, den ich durchquerte.
Er war fast kreisrund, mit flachen Ufern und hätte
in seiner Größe und Form sicher vielen Seen geglichen,
die ich auf meinen Kurierritten schon gesehen hatte,
wenn mir nicht seine Farbe aufgefallen wäre. Der See
war schwarz und wiederun auch nicht. Er schimmerte
im Licht der Sonne und er verschluckte es. An seinem
Rand schillerte er mal blau, dann rot, dann wieder
schwarz. Trotz seiner Schwärze wirkte er jedoch nicht
unheimlich. Je länger ich darüber nachdenke, wie man
diesen See beschreiben kann, desto mehr glaube ich,
daß er wie das Schwarz des nächtlichen Firmaments war,
mit all seinen Sternen, seiner unendlichen Tiefe und
unbeschreiblichen Schönheit.
Rasch bemerkte ich, daß ich nicht der einzige Mensch
war, der diese Schönheit genießen konnte, nicht allein
in dieser überwältigenden Landschaft. Unter mir befand
sich ein kleines Dorf aus einfachen Hütten. Auf den
Feldern arbeiteten einige Männer und Frauen, am Ufer
des Sees spielten Kinder. Ich begann, den Rand des
Talkessels nach einem Weg für mich und mein Pferd
abzusuchen. Meine Mission hatte ich völlig vergessen.
Ich hatte Glück, ganz in meiner Nähe fiel der Rand
nicht so steil ab, hier konnte ich zu Fuß absteigen.
Mein Pferd band ich an einem Baum fest, nahe einer
Lichtung. Hier fand es genug Gras vor, bis ich zurück-
käme. Dann begann ich mit dem Abstieg.
Hier unten im Tal schien es mir wärmer zu sein als sonst
in Gladeard. Der Abstieg selbst war leicht, die Menschen,
die hier lebten, hatten schon einen Weg mit Stufen und
Geländern angelegt, so daß das Gehen zu einer wahren
Freude wurde und ich die Gegend bewundern konnte. Am
Ende des Weges, der von den Stufen weiterführte, lagen
die Hütten. Über mir zeichnete sich dunkel der steile
Abhang ab, den ich fast hinuntergestürzt wäre. Er
erschien mir jetzt noch bedrohlicher als vorhin. Ich
hatte damit gerechnet, daß mich die hiesigen Bewohner
freundlich begrüßen würden, doch hierin wurde ich
enttäuscht. Nichts dergleichen geschah. Ja, das Dorf
lag wie ausgestorben vor mir. Ich meinte schon, man
hätte mich lediglich nicht bemerkt, als mir auffiel,
daß das Geschrei der Kinder verstummt war. Ich suchte
mit meinen Blicken das Seeufer ab, doch ich konnte sie
nirgends entdecken. Warum versteckten sich die Bewohner
dieses Paradieses, warum hatten sie Angst vor mir ?
Es dauerte nicht lange, da wußte ich, warum alles
so trügerisch friedlich war. Der Dolch, der sich
plötzlich, wie aus heiterem Himmel, an meiner Kehle
befand, sprach deutliche Worte. Hände begannen mich
abzutasten und nach Waffen zu durchsuchen. Was sie
schließlich zutage förderten, ließ sich durchaus sehen,
denn zum Schutz vor Räubern hatte ich mich bis an
die Zähne bewaffnet. Eine Stimme befahl mir in meiner
ach so bekannten Heimatsprache, was mich damals
außerordentlich erstaunte, mich umzudrehen. Langsam
kam ich dem Befehl nach.
Vor mir stand ein alter Mann, vielleicht sechzig
Jahre, sein Alter war schwer zu schätzen, denn
trotz der zahllosen Falten in seinem Gesicht
zeugte seine Haltung noch von der Kraft und
Gelenkigkeit eines jungen, vor Frische strotzenden
Burschen. Ich wäre in einem Zweikampf wohl schwerlich
gegen ihn angekommen, und selbst wenn, hinter ihm
standen noch drei weitere Männer.
Ich fand diese Begrüßung etwas unhöflich, war ich
doch in friedlicher Absicht gekommen, nur von dem
Verlangen getrieben, an diesem See kurz zu verweilen
und die Bewohner des Tales kennenzulernen, nicht
um von ihnen gefangengenommen zu werden. Der alte
Mann hatte anscheinend diese Gedanken aus meinen
Gesichtszügen gelesen und klärte mich auf, warum
ich anfangs so roh behandelt worden war. Gemächlich
begann er zu erzählen, mich dabei mit einer Geste
auffordernd, doch mitzukommen.
Wir traten schließlich in eines der Häuser und
setzten uns nieder, während er fortfuhr, mir die
Situation des Dorfes zu erklären. Ich will hier
nicht alles so wiedergeben, wie der alte Mann es
mir erzählte, es würde zu lange dauern. Folgendes
jedoch sollt ihr wissen:
Einst, wann genau sagte der Alte mir nicht, waren
zwei Familien ausgezogen, um neues Land zu finden.
Sie kamen von irgendwo aus dem Norden. Damals war
Gladeard gerade entstanden, es war aber erst ein
kleines Dorf, nicht die große Stadt, als die ihr
es heute kennt. Der Wald, in dem sie damals dieses
Paradies vorfanden, war viel größer gewesen als er
heutzutage ist. Die beiden Familien benutzten nicht
die Straßen, denn damals herrschten überall große
Räuberhorden, die von jedem Reisenden Zoll erhoben,
wenn nicht gar mehr verlangten, und so mußten sie
den mühseligen Weg durch den Wald auf sich nehmen.
Sie fanden schließlich diesen Talkessel, der unbe-
wohnt und wohl auch niemand bekannt war, und ließen
sich hier nieder. Seither haben einige wenige Reisende
diesen Ort gefunden, aber keiner von ihnen hat ihn je
wieder verlassen.
Als der Alte diese Worte sprach, erschrak ich sehr.
Meine Mission! Die Botschaft, die ich zu überbringen
hatte, durfte einfach nicht verlorengehen. Ich hob an,
etwas zu sagen, doch der Blick, den der Alte mir zuwarf,
ließ mich verstummen. Am Ende seiner Erzählung erfuhr
ich dann, daß diese Reisenden nicht getötet worden waren
und auch nicht mit Gewalt festgehalten wurden. Nein,
die Schönheit dieser Landschaft fesselte sie, band sie
an diesen Ort.
Der Alte sprach von einer eigentümlichen Ausstrahlung,
die jeden am Fortgehen hinderte, etwas, dessen Ursache
keiner bislang ergründen konnte. Wohl konnte man diesen
Ort für eine kurze Zeit verlassen, doch wurde der
Schlaf dieses Menschen dann unruhig, sein Leben trostlos
und einfältig. Der Alte schwieg, und ich vermeinte, die
Strahlung zu spüren, wie sie mein Herz durchdrang, es
mit einer warmen Wonne ausfüllte und mich verwandelte.
Auch jetzt noch, nachdem ich diesen Ort schon lange
verlassen habe, spüre ich sie und wie sie mich zurück-
treibt, doch laßt mich weitererzählen.
Nach langer Stille sagte der Alte: " Ich sehe, auch Sie
sind nun im Banne des Sees Dwamani. Ihre Augen haben
den Glanz seiner vielen Farben angenommen, seine Tiefe
ist in Ihnen und wird sie nie mehr verlassen. Gehen wir
nun hinaus, ich will Sie den anderen Bewohnern des Dorfes
vorstellen, sie erwarten uns. "
Ich konnte mich nicht daran erinnern, daß ich aufgestanden
und dem Alten gefolgt war, doch mit einem Mal schien mir
die warme Sonne ins Gesicht. Nie zuvor habe ich sie als
so lieblich empfunden, wie bei meinem ersten Tag am
Dwamani, ein Name, der, wenn ihn die Menschen des Sees
aussprechen, wie Glockenblumenduft in meinen Ohren
klingt, süß hin und her schwingt.
Die Sonne brachte mich aus meinen Gedanken, oder waren
es Träume?, ich weiß es nicht, zurück in die Wirklichkeit
des Sees. Aber war es eine Wirklichkeit? Der See schien
mir fast wie ein Traum. Doch, ich will lieber mit dem
Schwärmen aufhören, denn sicher wollt ihr wissen, was
weiter geschah. Doch mir ist hoffentlich gelungen,
euch wenigstens etwas zu zeigen von der Schönheit
dieses Sees, zu dem ich übrigens in wenigen Monden
zurückkehren werde, denn ich kann nicht anders, der
See ruft mich zurück.
Ich stand also draußen im Schein der Sonne, die
mittlerweile den Zenit durchschritten hatte, und
wurde mir langsam meiner Umgebung bewußt. Viele Menschen
standen im Halbkreis um mich herum, es mögen so an die
vierzig Köpfe gewesen sein, die hier am See Dwamani
lebten. Sie lachten und schwatzten über mich und meine
komische Tracht, die doch das Gewand eines Boten des
Königs war. Sie fragten sich wohl, wie ich hierher
gekommen sei, denn meine Stiefel waren, wie es sich
für einen königlichen Boten gehört, blank und sauber.
Jetzt erst erinnerte ich mich meines Pferdes, das
noch immer hoch oben am Rand des Felssturzes stand
und mich sicherlich sehnsüchtig erwartete, um an den
See geführt zu werden und den Durst zu löschen, den
es nach dem anstrengenden Ritt wohl hatte. Der Alte
schien meine Gedanken erraten zu haben. Oder konnte
er, wie ich oft vermutete, die Gedanken sogar lesen?
Es war warscheinlich nur seine gute Menschenkenntnis,
wache Augen und die Fähigkeit, Gesten und Gebärden zu
deuten.
" Ihr seid ein Reiter, wie's mir scheint, doch habe
ich Euer Pferd noch nicht gesehen. Es wird sich wohl
noch oben am Weg befinden und nach dem Wasser des
Dwamani dürsten. Ich will Euch einen Abstieg zeigen,
den Ihr mit Eurem Pferd leicht erreichen und benutzen
könnt. " Damit wies er auf die gegenüberliegende Seite
des Sees, wo der Abhang weniger steil war.
" Oben gibt es einen Weg um das Tal, er ist schmal
und schwer zu finden. Ich werde Euch Kani, meinen
Enkel mitgeben, er wird Euch führen. Nehmt ihn mit
auf Euer Pferd, er hat sich schon immer gewünscht
zu reiten. Nun geht, denn Ihr werdet lange reiten
müssen, um wieder zum Dorf zu gelangen. "
Aus der Menge, die sich zu zerstreuen begann, um,
wie der Alte sagte, ein Festmahl zu meinen Ehren
zu bereiten, kam ein Junge gelaufen. Sein Haar war
dunkel, fast schwarz und seine Haut von der Sonne
gebräunt. Er trug einfache Kleider, die allerdings
nicht hier am See gefertigt worden waren. Die
Herkunft der Kleider, nach der ich nicht zu
fragen wagte, war eines der vielen Rätsel, die
mir der See damals aufgab.
Das Gesicht des Jungen strahlte, als er mich ansah.
In seinen Augen konnte ich das Abbild des Sees
entdecken, seine Tiefe und Farbe, eine der vielen
Farben, die er annehmen konnte. Der Junge nahm
meine Hand, zeigte auf den Weg und nahm mich
sanft mit sich. Ohne daß ein Wort gesprochen
worden wäre, verstand ich ihn doch sofort. Es
ging ihm gar nicht schnell genug, das Pferd zu
erreichen.
Kaum waren wir oben angelangt, wieherte mein
Pferd erfreut, als es uns sah, und tänzelte an
der Leine, an die ich es gebunden hatte. Der
Junge blieb stehen, das Pferd schien ihn doch zu
ängstigen, trotz seines sehnlichen Wunsches zu
reiten. Es war doch um einige Köpfe größer als
er und jetzt, wo es so unruhig tänzelte, mußte
es ihm wie ein wildes Tier erscheinen.
Ich ging zu meinem Rappen und beruhigte ihn. Er
wieherte vor Freude und begann, mir am Ohr zu
knabbern. Zögernd trat Kani an das Pferd heran
und streichelte es vorsichtig. Flyklam senkte
gnädig seinen Kopf und Kani kraulte seine Ohren,
was Flyklam außerordentlich gefiel.
" Auf geht's, " sagte ich, " mich zieht es zurück zum
See, und schon morgen muß ich wieder fort, ich habe
noch einen wichtigen Auftrag zu erledigen. Ich möchte
keinen Augenblick verpassen, den ich am Dwamani
verbringen kann. "
Ich sah, wie sich seine Miene verdüsterte, als er den
Sinn meiner Worte erriet. Schnell strich ich ihm übers
Haar und beschwichtigte ihn, daß ich bald wiederkommen
würde. Dann bestieg ich Flyklam und hob den Jungen
vor mich auf mein Pferd. Kani wies nach Rechts auf
eine Lücke zwischen den Bäumen und ich lenkte meinen
Rappen in diese Richtung. Hinter der Lücke sah ich
einen schmalen Pfad, der sich versteckt zwischen den
Bäumen entlangschlängelte. Ich hielt darauf zu und
wir verschwanden im Dickicht.
Der Junge schwieg lange, und ich muß sagen, ich war
recht froh darüber, denn meine Aufmerksamkeit konzen-
trierte sich vollends darauf, den Pfad, der oft
nicht mehr als eine dünne Spur am Waldboden war,
nicht zu verlieren. Manchmal schreckten vor uns
Tiere auf, die diesen Pfad wohl auch benutzten.
Nur wenige Sonnenstrahlen drangen durch das Dach
der Bäume über mir und mein Herz begann, sich immer
mehr nach dem See zu sehnen. Er mußte links von
uns liegen, doch nichts kündete von seiner Nähe.
Ich ließ Flyklam in eine schnellere Gangart fallen.
" Bitte, nicht so schnell, wir könnten den Weg
verfehlen. " Ängstlich deutete mir mein Begleiter,
meine Ungeduld zu mäßigen. Flyklam trabte schon
etwas gemächlicher durch den Wald, so als habe
er den Jungen verstanden. Schweigend ritten wir
weiter, als Kani plötzlich mit der Hand voraus
ins Dickicht wies. " Da, seht ihr, die Gabel des
Alten Baumes! " Später erfuhr ich, daß dies der
Alte Baum des Dwamani war, von dem man sagte, daß
er entstand, als der Dwamani geboren wurde und
sich mit seinem tiefen Wasser füllte.
Ich spähte in die Büsche, konnte ich nichts
entdecken, doch die Neugier hatte mich erfaßt.
Ich wollte wissen, was es auf sich hatte mit diesem
Baum, der scheinbar eine wichtige Rolle spielte
im Leben der Bewohner des Talkessels. " Wo denn,
ich sehe nichts? Komm, zeig' ihn mir! " forderte
ich den Jungen auf. Er sprang von Flyklams Rücken
herab auf den Boden. Ich stieg ab und folgte ihm.
Gemeinsam bahnten wir uns einen Weg durch das
Dickicht. Da blieb ich wie vom Donner gerührt
stehen.
Vor mir erhob sich eine riesige hölzerne Wand.
Als ich nach rechts und links blickte, sah ich,
daß es sich um den Stamm eines riesigen Baumes
handelte. Ich umrundete ihn auf Geheiß des Jungen
und zählte fünfzig Schritte, bis ich wieder am
Ausgangspunkt war. Nie zuvor habe ich einen Baum
mit einem derart unglaublichen Umfang gesehen!
Ich wagte es gar nicht aufzublicken. Als ich es
schließlich doch tat, wurde mir schwindelig von
der Länge des Stammes, an dessen Ende eine Blatt-
krone war, die die der anderen Bäume um ein weites
überragte. Ich drohte umzufallen, so verwirrte der
Baum meinen Gleichgewichtssinn, und ich lehnte mich
mit einer Hand an den Stamm, immer noch zur Krone
aufblickend.
" Wir müssen weiter, wenn wir noch zum Abendmal
wieder dasein wollen. " Kani drängte mich von
dem Baum weg und zog mich zurück zu Flyklam. Nachdem
wir wieder aufgesessen waren, ging es weiter auf
dem Pfad, der hier in der Nähe des Alten Baumes
nach links abbog. Eine ganze Weile ritten wir
schweigend den Pfad entlang, mühsam der Spur durch
das Gebüsch folgend. Der Baum hatte mich abgelenkt
von der Sehnsucht, die mich in der Nähe des Sees
befallen hatte, fast so als ob der Baum ein Teil
des Sees war und dieselbe Strahlung aussandte wie
der Dwamani.
Mal schien das Gebüsch dichter zu werden, ver-
schluckte jeden Sonnenstrahl, dann wieder wurden
die Bäume und Büsche lichter und tanzende Flecken
erhellten den Waldboden. Da versperrte uns plötzlich
ein riesiger Felsbrocken den Weg. War der Pfad
etwa hier zuende? Kani glitt aus dem Sattel und
kniete ehrfurchtsfoll vor dem Stein nieder. Sein
Verhalten befremdete mich doch sehr. Ich glitt
vom Pferd und näherte mich dem Fels. Auch hier
bemerkte ich eine rötliche Färbung des Steins,
die mir schon bei vielen Felsbrocken, die ich
auf dem Hinweg gesehen hatte, aufgefallen war.
Dieser Fels aber war anders als alle, die ich
zuvor gesehen hatte.
Er war nicht nur außerordentlich groß, sondern
besaß auch eine eigentümliche Form und Farbe.
Ich ging in die Hocke und untersuchte den Felsen
genauer. Auf der mir zugewandten Seite des Felsens
fand ich ein exaktes Abbild des Talkessels. Zwar
war das Bild senkrecht, wie bei einem Altar, doch
die Aushöhlung, die der Fels auf dieser Seite
besaß, entsprach zweifelsfrei dem Dwamani mit
dem Talkessel ringsum. Dort, wo der Dwamani lag,
war die Aushöhlung tiefer. Sie hatte eine dunkle,
fast schwarze Färbung, die im Licht der darauf-
fallenden Sonnenstrahlen schimmerte. Um ihn herum
konnte ich die Wälder liegen sehen, ich meinte
sogar, das Dorf mit seinen Feldern zu erkennen,
doch mag ich mich auch getäuscht haben.
Nach einigen Minuten erhoben wir uns wieder.
Kani, der die ganze Zeit über reglos und still
den Felsen angestarrt hatte, wies auf ein nahes,
dichtes Gebüsch. Wir stiegen aufs Pferd und ich
lenkte Flyklam dorthin. Wir konnten uns ohne
Schwierigkeiten durch die Büsche winden. Ich
brauchte Kani nicht erst nach diesem Felsen
fragen, es lag auf der Hand, daß er das Herz
des Dwamani war. Ich fragte mich nur die ganze
Zeit, warum er gerade außerhalb des Dwamani lag.
Da sah ich hinter den Bäumen den Talkessel liegen.
Als wir an seinem Rand angekommen waren, mußte ich
die Augen schließen, die untergehende Sonne blendete
mich. Ich stieg von meinem Rappen und lenkte ihn
mit Kanis Hilfe hinunter zum Tiefen See. Warum
eigentlich " Tiefer See ", wirst Du fragen? Nun,
Bamardu, der Älteste des Dorfes, hatte es mir bei
meiner Ankunft, als er mir die Geschichte des Sees
erzählte, erklärt.
" Wenn man mit einem Floß auf die Mitte des Sees
hinausfährt und dort ein Lot ins Wasser läßt, so
kann man noch so viel Leine stecken, das Lot erreicht
nie den Grund. Doch das ist nicht das einzige Rätsel
des Dwamani. Holt man Wasser aus seinen Tiefen, so
ist es warm, um so wärmer, je tiefer man es herausholt,
und nicht kälter wie bei einem normalen See. Das
Wasser des Sees ist das Blut des Dwamani, es fließt
hervor aus seiner warmen Seele, die niemand je
wird erreichen können. "
Später, nachdem ich Flyklam an das Ufer des Dwamani
geführt hatte, fragte ich Bamardu nach dem großen
Stein, der am Rande des Talkessels mir den Weg versperrt
hatte. Er blickte erst sinnend in die Richtung des
Felsens, dann antwortete er: " Der Stein ist in der
Tat das Herz des Dwamani. Irgend jemand muß es ihm
entrissen haben und seither schläft der Dwamani,
doch wird es ihm jemals zurückgegeben, so wird er
erwachen, mit neuem Leben auferstehen. Wenn einmal
diese Zeit kommt, so wird unsere Zeit abgelaufen
sein, denn dann wird der Dwamani es nicht mehr dulden,
daß Fremde an seinen Ufern weilen. Dieser Stein
ist für uns das Heiligste, da er einst zum Dwamani
gehörte, oder vielmehr, da er in seinem Innersten
sich befand. "
Dieses waren nur einige der Gespräche, die ich mit
dem Alten führte. Doch ich will meine Erzählung
nicht dadurch stören, daß ich langatmig und ohne
den bildlichen Zusammenhang von der langen Geschichte
des Sees berichte.
Ich schritt, während Flyklam am See stand und seinen
Durst stillte, mit Kani den Pfad entlang, der vom
Seeufer zum Dorf führte. Die Sonne begann nun, hinter
dem Rand des Kessels zu versinken. Die Schatten der
Bäume und Sträucher wurden immer länger. bald würde
die Sonne weit fern von hier im Meer versinken und
ausgelöscht werden, bis RU, der Schmied und Erschaffer
der Erde, sie am Morgen erneut entzündete.
Über dem Tal war die Sonne völlig verschwunden, nur
noch die Wolken glänzten rötlich, als wir das Dorf
erreichten. Flyklam war uns mittlerweile gefolgt
und rieb seine Nüstern an meiner Schulter. Nun, da
er sich am Wasser des Sees und dem saftigen Gras
gelabt hatte, war er restlos zufrieden und folgte
mir auf Schritt und Tritt.
Im Dorf empfing man uns mit überschwenglicher
Freude. In der Luft hing ein herrlicher Geruch
von gebratenem Fleisch und gedünstetem Gemüse.
Auf dem Platz in der Mitte des Dorfes hatte man
eine große Tafel aufgebaut, die sich unter der
Last der aufgehäuften Speisen bog. Das Fest
begann.
Es wurde eine lange Nacht. Einige der Talbewohner
hatten Musikinstrumente herbeigeschafft und
zauberten Lieder hervor, die vom Dwamani geprägt
waren, von ihrer Liebe zu ihm, dem Glück und
dem Frieden, die hier herrschten. Das Mahl war
üppig, doch das besondere an ihm war der Wein.
Er war hier gewachsen und der Dwamani hatte
ihm eine Blume und einen Geschmack verliehen,
der alles, was ich kannte, bei weitem übertraf.
Ich war weit herumgekommen in Andergat, doch
nie habe ich so einen Wein gekostet.
Es war schon spät in der Nacht, als wir aufhörten
zu tanzen und zu singen. Der Halbmond hatte das
Sternbild des Bechers erreicht, da erst begaben
wir uns zur Ruhe. Lange lag ich noch wach und
dachte an meine Reise, den Dwamani und das Fest.
Mir schien es, daß ich nur einen Augenblick
geruht hatte, bis die neue Sonne über dem Horizont
aufstieg und mich wachrüttelte. Ich mußte schon
früh an diesem Tage weiterreiten, zum König der
Lande im Norden.
Das Singen der Frauen und Männer, die auf die
Felder zogen, klang durch den Morgen. Ich kleidete
mich rasch an, um soviel wie möglich von diesem
neuen Tag zu erhaschen. Draußen traf ich den Alten,
der mich freundlich begrüßte und zum Morgenmahle
einlud. Danach hieß es Abschied nehmen.
Noch heute, nur einige Wochen sind seither vergangen,
für mich schienen es aber Jahre zu sein, schmerzt
mich die Erinnerung daran. Wir schüttelten uns
stumm die Hände, ich bestieg Flyklam und ritt
langsam am See entlang. Die Frauen und Männer auf
den Feldern winkten mir freudig nach, als ich
Flyklam am Zügel aus dem Talkessel hinausführte,
in den Wald von Gladeard hinein, fort vom Dwamani.
Flyklam wollte mir nicht so recht gehorchen, immer
wieder drehte er den Kopf zum See zurück, der
hinter uns im Dickicht der Bäume verschwunden
war. Lustlos ritt ich weiter, achtete nicht mehr
auf das Geäst, das mir ins Gesicht schlug, oder
auf die Nadeln, die mich stachen. Immer wieder
schweiften meine Gedanken zurück zum Tiefen See,
dem Dwamani.
Nun habe ich Euch meine Geschichte erzählt, die
Geschichte meiner Begegnung mit dem Dwamani, die
erst einige Wochen her ist und dennoch so fern mir
erscheint. Ich habe sie wahrheitsgemäß erzählt,
habe aber einige Sachen verschwiegen oder nicht
so wiedergegeben, daß sie ganz den Tatsachen ent-
sprechen.
Warum?, werdet Ihr fragen. Ich will es Euch sagen.
Viele, die meine Geschichte hören, werden dieselbe
Sehnsucht erfahren wie ich, denn der Dwamani bezaubert
viele Menschen, auch wenn sie ihn nur aus Erzählungen
kennengelernt haben. Manche von ihnen werden ihn
suchen, den Tiefen See. Doch der Dwamani ist nicht
so groß, daß er alle, die ihn um des Friedens, der
Ruhe und der Geborgenheit Willen suchen, beherbergen
könnte. So müßt Ihr ihn Euch schon selbst erschaffen,
an einem Platz, der ihm ähnelt. Ich bin sicher, daß
es Euch, wenn Ihr den festen Willen dazu habt, gelingen
wird. Mögen meine Worte Euch dabei helfen.
( Samunarwas Erzählung )
Bitte laßt die Worte Samunarwas in Euer Herz
eingehen, bevor Ihr diese schlichten Zeilen von
mir, der Samunarwas Erzählung nur niederschrieb,
lest.
Es ist nun etwa fünf Jahre her, seit mir Samunarwa
seine Geschichte erzählte. Eine Woche nach dem Abend,
den wir gemeinsam mit Freunden vor dem Kamin seines
Heimes verbracht hatten, verkaufte er all' sein
Hab und Gut und verschwand. Seitdem hat keiner ihn
mehr gesehen. Man sagt, er treibe sich auf den
Märkten einiger Städte der Südlande herum, wo er
mit allerlei Waren handele. Andere behaupten, er
lebe in den Bergen und habe einen Sohn.
Auf meinen vielen Reisen fand ich nie eine Spur
von ihm. Oft habe ich Wälder durchquert, obwohl
die normalen Straßen bequemer gewesen wäre, nur
von der Hoffnung getrieben, den Dwamani zu finden,
doch nie hatte ich Glück auf meiner Suche.
Aber ich weiß, dort, wo Samunarwa ist, ist er
glücklich, und ich hoffe, daß viele Menschen
sich seiner Worte zu Herzen nehmen werden, wenn
sie ihr Lebensglück suchen.
( Jupratramal )
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